Compliance-Prozess à la Credit Suisse

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Tidjane Thiam geht, Urs Rohner bleibt und mit ihm der Mosambik-Skandal

Zum Hintergrund:

Tidjane Thiam nimmt am 14.Februar 2020 gezwungenermassen den Hut. VR-Präsident Urs Rohner aber bleibt. Er ist für die Verheimlichung der Kredite an Mosambik von insgesamt 2,07 Milliarden Dollar mitverantwortlich. Der Skandal mit diesen Krediten gilt heute als der grösste Skandal in Schwarzafrika der letzten Jahrzehnte.

Die Credit Suisse London und die russische Staatsbank VTB London zahlten 2013/14 drei gigantische Kredite (Proindicus, Ematum, MAM) an die libanesische Schiffbaufirma Privinvest des Unternehmers Iskandar Safa. Privinvest sollte für drei halbstaatliche Firmen in Mosambik, die dem Geheimdienst unterstanden, Schiffe für den Küstenschutz und eine Thunfischfangflotte bauen. Mindestens 200 Millionen Dollar wurden in Schmiergelder gesteckt, davon 50 Millionen an drei Investmentbanker der CS London. Die gelieferten Schiffe erwiesen sich als massiv überteuert und unbrauchbar, von 500 Millionen Dollar fehlt noch immer jede Spur. Die vom mosambikanischen Finanzminister in verfassungswidriger Weise abgegebene Staatsgarantie für diese Kredite führte zur Zahlungsunfähigkeit des Landes.

Die Frage, wer für den Schaden aufkommen soll, hat in den letzten 14 Monaten zu einer Reihe von Klagen und Gegenklagen geführt. Da die verantwortlichen Banken ihren Sitz in London haben, sind sie mehrheitlich beim Commercial Court am Londoner High Court eingereicht worden. PublicEye hat im April 2019 bei der Bundesanwaltschaft Strafanzeige gegen die Credit Suisse eingereicht. Die Finma hat zum Fall bisher stets geschwiegen.

Der folgende Artikel beleuchtet und analysiert das Herzstück der Auseinandersetzung – den Due Diligence-Prozess der Credit Suisse. Aus früheren Klagen und der Reaktion der Credit Suisse darauf lässt sich rekonstruieren, dass im Compliance-Prozess für den ersten grossen Mosambik-Kredit Warnungen wissentlich und willentlich in den Wind geschlagen wurden und dass der warnende Mitarbeiter – immerhin der Leiter der Abteilung Europa, Mittlerer Osten und Afrika (EMEA) – unmittelbar danach seine Stelle bei der Bank verlor.

In einer Klage vom August 2019 gegen die CS und die Schiffbaufirma hat Mosambik gefordert, dass das Londoner Gericht den Proindicus-Kredit von insgesamt 622 Millionen Dollar für nichtig erklärt und von der Credit Suisse die Rückerstattung bereits bezahlteGebühren, Zinszahlungen und Schuldentilgungen verlangt. Am 21.Januar 2020 antwortete die Credit Suisse im Namen zweier Firmen: (a) der Credit Suisse International mit Sitz in London (CSI) und (b) der Credit Suisse London Branch (CSLB), für die die Firmenzentrale in Zürich verantwortlich ist. Die Antwort der CS – Verteidigungsschreiben und Gegenklage in einem – ist mehr als dreimal so lang wie Mosambiks Klageschrift. Infosperber machte am 12.Februar 2010 beide Klagen zugänglich. Zudem publizierte Infosperber am 10. Februar in meinem Namen eine Zusammenfassung der mosambikanischen Klage gegen die CS und am 12. Februar ein Resumée der Gegenklage.

Die Gegenklage der Credit Suisse gegen Mosambik

In ihrer Gegenklage schiebt die Credit Suisse die Schuld für das Debakel aber auf den mosambikanischen Staat. Nach Bekanntwerden der Klage durch die New Yorker Staatsanwaltschaft vom 19.Dezember 2018 schob die Führung der CS die Verantwortung für die Krediterteilung auf das „Deal Team“ in der CSI London (Andrew Pearse, Detelina Subeva und Surjam Singh) ab. Anlässlich der letztjährigen GV beteuerten VR-Präsident Urs Rohner und Chef-Jurist Romeo Cerutti, von den krummen Machenschaften dieses Teams bis zum Zeitpunkt der US-Anklage nichts gewusst zu haben. „Ich habe nichts gewusst, lautete auch die Behauptung Tidjane Thiams, mit der er sich über die Beschattungsaffären gegen Iqbal Khan und Peter Goerke hinwegzuretten versuchte – erfolglos, wie man seit dem 7.Februar weiss.

„Nichtwissen schützt vor Strafe nicht.“ Ob dieses Sprichwort auch für VR-Präsident Rohner gilt? Die Tragweite des Mosambik-Skandals ist ungleich viel grösser als die der diversen Beschattungsaktionen. Gemessen am Schaden, den die CS-Kredite in Mosambik anrichteten, wirken die Bespitzelungsaffären eher wie Schmierenkomödien.

Auf wie dünnem Eis sich die Abwehrstrategie der Credit Suisse bewegt, machen insbesondere die Einzelheiten um das Compliance-Verfahren vom März bis November 2012 deutlich. Sie bilden gleichsam das Herzstück der Auseinandersetzung: Aus früheren Klagen und der Darstellung der Credit Suisse, mit der sie diese Klagen kontert, lässt sich rekonstruieren, dass im Compliance-Prozess Warnungen wissentlich und willentlich ignoriert wurden und dass der warnende Mitarbeiter – immerhin der Leiter der Abteilung Europa, Mittlerer Osten und Afrika (EMEA) – unmittelbar danach seine Stelle bei der Bank verlor.

Zu den Einzelheiten beim Compliance-Prozess für den Proindicus-Kredit an Mosambik

Art.1 der Geschäftsbedingungen der CS erwähnt unmissverständlich die Konsequenzen eines mangelhaften Compliance-Prozesses: „Die Bank ist verpflichtet, die Legitimation des Kunden und der Bevollmächtigten mit der geschäftsüblichen Sorgfalt zu prüfen. Wird diese Pflicht durch die Bank, ihre Miarbeiter oder Hilfspersonen verletzt, so trägt die Bank einen dadurch entstandenen Schaden.“

Diese Sätze stehen in kontradiktorischem Gegensatz zum Fazit der CS-Gegenklage gegen Mosambik. Das Dokument selber bietet für dieses Fazit allerdings keine geeignete Grundlage. Die Credit Suisse London Branch (CSLB) habe sich bezüglich der Due Diligence-Prozesse auf die CSI verlassen, heisst es dort (§ 71.2). Aus einer Aussage des Ex-Bankers Surjam Singh vom 8.11.19 vor dem New Yorker Gericht geht allerdings hervor, dass Credit Suisse Schweiz die Mosambik-Kredite ausdrücklich gutgeheissen hat.[1]

Der entscheidende Punkt, um den im Compliance-Prozess gefeilscht wurde, betraf die Einschätzung Iskandar Safas – des Chefs der Schiffbaufirma Privinvest, die den Kontakt zur Credit Suisse hergestellt hatte und an die auch sämtliche im Namen von Mosambik vergebenen Kredite ausbezahlt wurden. Die CS war mehrfach vor Geschäften mit Iskandar Safa gewarnt worden, schlug diese Warnungen aber in den Wind. Die Verteidigungsschrift offenbart (wenn auch wahrscheinlich unfreiwillig), die grob fahrlässige Weise, in der dies geschah.

Bereits die Anklage der New Yorker Staatsanwälte vom Dezember 2018 vermerkte, dass die CS um die Risiken von Geschäften mit Safa gewusst hatte. Die mosambikanische Anklage nimmt dieses Faktum auf (Mos. § 56).[2] In ihrer Antwort verrät die CS dazu ein paar pikante Einzelheiten.

Da wird beispielsweise erwähnt (§ 79.1), die Bank habe Iskandar Safa im Juli 2010 die Eröffnung eines Kontos verweigert, weil sein Name bei WorldCheck – einer Datenbank zu persongebundenen finanziellen, regulatorischen Risiken und Reputationsrisiken – aufgeführt war.[3] Im Dezember 2011, als Privinvest-Verkäufer Boustani mit der Credit Suisse in Kontakt getreten war, habe ein CS Team Iskandar Safa weiterhin als „UC“ (= undesired client) qualifiziert, und anlässlich des Compliance-Verfahrens im März 2012 habe ein Mitarbeiter der Bank an eben diese Eigenschaft Safas erinnert (CS § 79.1).[4] Um die Risiken eines Geschäfts mit Safa zu belegen, habe dieser Mitarbeiter Zeitungsausschnitte zu mehreren Gerichtsfällen gesammelt, in die Safa zwischen den achtziger und den nuller Jahren verwickelt war (CS § 79.4).[5]

Die CS will diese Hinweise in ihrer Verteidigung mit dem Argument abschmettern, aus den gesammelten Artikeln gehe hervor, dass Iskandar Safa stets freigesprochen worden sei,[6] weshalb WorldCheck seinen Namen im September 2010 aus der Liste der Geschäftspersonen mit Risikoprofil gestrichen habe (CS § 79.2). Der fragliche Mitarbeiter in der Credit Suisse London war aber kein Geringerer als der Leiter der Abteilung Europa, Mittlerer Osten und Afrika (EMEA), wie man seit Bekanntwerden der amerikanischen Klage weiss. Die Agentur Bloomberg identifizierte ihn als Fawzi Kyriakos-Saad.[7] Er hatte die Leitung der EMEA-Abteilung Anfang Oktober 2006 übernommen.

Von Nationalität Libanese, war Kyriakos-Saad über den Libanesen Iskandar Safa wahrscheinlich besonders gut informiert. Jedenfalls widersetzte er sich noch im November 2012 dem Plan, die Firma Privinvest als unproblematisch einzustufen, und nannt Iskandar Safas in einer Unterredung einen „master of kickbacks“ (CS § 86.2).[8] Über diese Unterredung habe der „Angeklagte Nummer 4“ (d.h. David Pearse) seine Bankkollegen informiert. Laut der CS-Verteidigungsschrift versuchte man deshalb noch gleichentags, Kyriakos-Saad in einem weiteren Gespräch davon zu überzeugen, dass Safa und seine Firma „gute Partner für einen Deal“ seien (CS § 86.2). Doch dieser Überzeugungsversuch ging offenbar daneben.

Die CS-Anwälte korrigieren an dieser Stelle ein von der Anklageschrift Mosambiks genanntes Datum und geben damit – wohl unfreiwillig – einen wichtigen Hinweis an die Gegenpartei: Das erwähnte Gespräch mit Kyriakos-Saad habe nicht am 1. November 2012, sondern erst am 19. November stattgefunden. Aus anderen Quellen geht hervor, dass Kyriakos-Saad am gleichen oder am folgenden Tag sein Amt als Leiter der Abteilung EMEA verlor und die Bank verliess. Damit steht der Due Diligence-Prozess vollends im Zwielicht.

Entsprechende Pressemeldungen erfolgten am 20. und 21. November 2012: “Three top bankers are quitting as a result of the changes: [N.N.] who is Asia-Pacific chief executive; Fawzi Kyriakos-Saad, chief executive of Europe, the Middle East and Africa (Emea); and [N.N.], chairman of private banking, who is leaving Credit Suisse after 30 years with the Zurich-based bank.”[i]
Kyriakos-Saad verliess daraufhin die Bank: “Following the restructuring, Credit Suisse has eliminated the role of chief executive for Asia Pacific and EMEA. [N.N.] and Fawzi Kyriakos-Saad, former chief executives for those two regions, will leave the bank.”[ii]

[i] Lara Wozniak, Credit Suisse restructures its investment and private bank. AsianInvestor, 21.11.2012 [https://www.asianinvestor.net/article/credit-suisse-restructures-its-investment-and-private-bank/323617 ].
[ii] Chiara Albanese: Credit Suisse to merge asset management into private banking unit. Investment Europe, 20.11.12 [https://www.investmenteurope.net/investmenteurope/news/3715060/credit-suisse-merge-asset-management-private-banking-unit]).

Schwer zu glauben, dass die Koinzidenz dieser Daten ein purer Zufall gewesen sein soll. So oder so bleibt die Behauptung, der Compliance-Prozess sei gewissenhaft durchgeführt worden, unglaubhaft. Iskandar Safa figurierte zwar nicht mehr auf der WorldCheck-Liste, doch hatte er sich nun einmal den Ruf, ein „master of kickbacks“ zu sein, erworben, auch wenn er einer Verurteilung stets entronnen war. Und dass er diesem Ruf auch weiterhin konsequent nachlebte, bestätigte Pearse vor dem New Yorker Gericht höchst persönlich: „Mr. Safa was the boss who made decisions as to who would be paid“. Und: “Mr. Safa [Iskandar] was the boss of Privinvest and nobody made payments without his approval”.[9] Das hat auch Privinvest-Verkaufschef Boustani in seinen tagelangen Ausführungen vor demselben Gericht vorigen November wiederholt bestätigt. Boustani vermied dabei den Begriff „Schmiergelder“, was am Sachverhalt aber nichts ändert.

Die Liaison, die die Credit Suisse mit dem Geschäftsimperium Iskandar Safas einging, hat sich für Mosambik als absolut fatal erwiesen. Und für die Bank stellt sie sich nun als hochnotpeinlich heraus. Mit dem Argument, das die CS zu ihrer Verteidigung anführt – Safas Name sei zum fraglichen Zeitpunkt auf der WorldCheck-Liste wieder gelöscht gewesen – setzt sie den Umstand, dass Safa wiederholt einer Verurteilung entging, mit moralischer Unbedenklichkeit gleich. Es ist erschreckend, mit welcher Konsequenz die Bank ethische Bedenken beiseite schiebt.

Gegenklage der Credit Suisse gegen Mosambik: Zusammenfassung

  • Die (unter verfassungswidrigen Bedingungen ausgestellte) Staatsgarantie für den Proindicus-Kredit ist als gültig zu betrachten, weil sie vom Finanzminister unterschrieben worden war (CS § 5.1).
  • Weder CSI noch CSLB ist für die Vergehen des „Deal Teams“ verantwortlich (CS § 5.2; ausführlicher § 55.7 g-iii-B-1, S.24).
  • CSI und CSLB haben sich gegenüber den Machenschaften des „Deal Teams“ nicht willentlich blind gestellt (CS § 5.3)
  •  CSI und CSLB sind für die fehlerhafte bzw. unvollständige Information der Gläubiger anlässlich der Ematum-Umschuldung vom März 2016 nicht verantwortlich (CS § 5.4). Das betrifft auch die Geheimhaltung des Proindicus- und MAM-Kredits anlässlich dieser Umschuldung, die allerdings nicht Thema der Klage ist.
  • Mosambik hat kein Recht, von der Proindicus-Staatsgarantie zurückzutreten (5.5).
  • Die CS ist zu keinem Schadenersatz verpflichtet (5.6).
  • Allfällige Schadenersatzforderungen würden ohnehin auf den Kläger zurückfallen, weil dieser die Bank bezüglich der Staatsgarantieren angelogen hat (5.7).

Das Fazit lautet: „CSI und CSLB sind zu keinen Zahlungen für Schaden, Wiedergutmachung und Entschädigung verpflichtet“ (CS § 4). Die Bank verlangt von Mosambik, den fraglichen Kredit in voller Höhe samt Zinsen zurückzuzahlen.

Für weitere Einzelheiten vgl. Infosperber: https://www.infosperber.ch/Artikel/Wirtschaft/Exklusiv-Die-Klageantwort-der-Credit-Suisse-im-Mosambikskandal


Anmerkungen

[1] “Everyone and the mother at Credit Suisse has approved these transactions” (Protokoll Boustani-Prozess, p. 3169 (08.11.19).

[2] Mosambik-Anklage § 56. Der genannte Vorfall wird bereits in der amerikanischen Anklageschrift, § 42, berichtet: https://www.justice.gov/usao-edny/press-release/file/1141841/download

[3] Das Portal zu dieser Datenbank ist unter „WorldCheck“ leicht im Internet zu finden (sehr langer Link).

[4] Das erwähnen auch die New Yorker Anklage vom Dezember 2018, § 41 [vgl. Anm. ii] und die Mosambik-Anklage § 43.

[5] Vgl. New Yorker Anklage, § 41 [vgl. Anm. ii].

[6] Vgl. auch meine Recherchen über Iskandar Safa: https://www.infosperber.ch/Wirtschaft/Privinvest-Was-man-uber-den-Konzernchef-Iskandar-Safa-weiss

[7] https://www.bloomberg.com/news/articles/2020-01-29/credit-suisse-ignored-warning-over-2-billion-deal-with-tycoon Swissinfo [Bloomberg-Artikel wörtlich]: https://www.swissinfo.ch/eng/credit-suisse-ignored-warning-over–2-billion-deal-with-tycoon/45524536

[8] Dazu schon die New Yorker Anklage § 42 und Mosambik-Anklage § 56.

[9] Protokoll Boustani-Prozess, p.1139 (23.10.19).

Individuelle Texte sind nicht durch das Diskursverfahren von kontrapunkt gelaufen.

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