Manifest zur Steuer- und Finanzplatzpolitik der Schweiz: Kein Schutz mehr für Steuerflucht!

Autorinnen/Autoren: , und
Von Kontrapunkt* vom 17. Februar 2013

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Netzwerk “kontrapunkt” fordern von der Schweiz mehr internationale Kooperationsbereitschaft beim Kampf gegen die Steuerflucht

Die im Netzwerk „kontrapunkt“ vereinigten, hier als erste unterzeichnenden Wissenschaftlerinnen und Universitätslehrer sind besorgt über den internationalen Ansehensverlust und die wachsende Isolation der Schweiz wegen ihrer zögerlichen Haltung in der Bekämpfung der Steuerflucht. Sie fordern einen Perspektivenwechsel der Politik zugunsten der Steuerehrlichkeit sowohl gegenüber dem Ausland als auch im Inland.

Seit Jahren steht die Schweiz wegen ihrer mangelnden Kooperationsbereitschaft im Kampf gegen die Steuerflucht unter dem Druck multilateraler Behörden wie der OECD und auch befreundeter Regierungen. Sie reagiert fast immer verspätet auf legitime ausländische Forderungen nach verschärften Bekämpfungsmassnahmen – und daher meistens ohne tragfähige Konzeption. Mal für Mal handelt sich unser Land neuen Reputationsschaden ein. Heute steht die schweizerische Wirtschaftsdiplomatie international mit dem Rücken zur Wand. Die allzu lange dauernde Rücksichtnahme auf Banken, die ihr Geschäftsmodell unter anderem auf die passive oder sogar aktive Beihilfe zur Steuerhinterziehung und damit zur Prellung ausländischer Staaten ausgerichtet haben, hat uns aussenpolitisch in die Sackgasse geführt.

Alle Entwicklungen in der angelsächsischen und europäischen Besteuerungspraxis laufen auf einen grenzüberschreitenden, quasi-automatischen Austausch von steuerlich relevanten Bankdaten hinaus. Sonderzüglein, die den Missbrauch des Bankgeheimnisses zur Nichtdeklaration von Einkommen und Vermögen gegenüber autorisierten ausländischen und inländischen Steuerbehörden weiterhin tolerieren wollen, landen auf dem Abstellgleis. Der Verlust an Vertrauen in die Banken ist längst so gross, dass das von Privatbanken lancierte und vom Bundesrat übernommene Modell einer Abgeltungssteuer international nur von wenigen Staaten akzeptiert wird. Inzwischen wird es daher selbst von der Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers und weiteren Persönlichkeiten des Finanzplatzes wieder in Frage gestellt. Es kann höchstens für die Abwicklung der Ansprüche aus der Vergangenheit dienen. Auch das bisher verfolgte Modell einer „Weissgeldstrategie“ ist keine zukunftstaugliche Lösung, denn es macht die Banken zu Steuerkontrolleuren und wird vom Ausland nicht als gleichwertig zum Bankdatenaustausch akzeptiert. Der Grundsatz des internationalen Informationsaustausches zwischen befreundeten Rechtsstaaten wird sich allen Indizien zufolge in der OECD (deren Mitglied die Schweiz ja ist) in absehbarer Zeit durchsetzen.

Dafür gibt es gute Gründe: Ein fairer, d.h. chancengleicher und auf wirtschaftlicher Leistung beruhender globaler Standortwettbewerb erfordert die Einhaltung internationaler Spielregeln. Dazu gehört zweifellos der koordinierte Kampf gegen die Steuerflucht und gegen Steueroasen. Denn die Protektion von Steuerhinterziehern durch einzelne Staaten

• verletzt die Grundsätze der vollständigen Erfassung und gleichmässigen Belastung des Steuersubstrats auf Kosten der ehrlichen Steuerzahler (Gerechtigkeitsaspekt),

• verzerrt den leistungsorientierten Standortwettbewerb und erschwert damit die strukturelle Gesundung der krisengeschüttelten Volkswirtschaften (wettbewerbspolitischer Aspekt),

• unterhöhlt die Steuerbasis der Staaten, die wohl noch auf viele Jahre hinaus finanzpolitisch unter der Bankenkrise und den nötigen Sanierungsmassnahmen leiden (fiskalpolitischer Aspekt)

• und missachtet die steuerliche Souveränität anderer Staaten (völkerrechtlicher Aspekt).

Die Souveränität der Schweiz ist ein Gut von höchstem Wert. Wir können aber nicht einseitig auf die Souveränitätsrechte unseres Landes pochen ohne die gleiche Souveränität aller anderen Rechtsstaaten anzuerkennen. Gerade die Souveränität der Schweiz als Kleinstaat beruht allein auf dem Prinzip der gleichberechtigten Anerkennung aller Staaten untereinander. Dieses Prinzip verletzt die Schweiz seit Jahrzehnten: Mit der Unterscheidung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug (und der Beschränkung der internationalen Rechtshilfe auf Letzteren) unterläuft sie die Steuerautonomie anderer Staaten, indem sie steuerflüchtigem Kapital „Finanzasyl“ bietet. Dadurch sowie durch weitere unfaire Anreize, namentlich die Steuerprivilegien für ausländische Holdinggesellschaften, wird systematisch Steuersubstrat fremder Staaten abgeschöpft. Statt international bei der Bekämpfung der Steuerflucht zu kooperieren, hat die Schweiz der Steuerflucht bisher in höchst eigennütziger Weise Vorschub geleistet.

Aus all diesen Gründen halten wir den internationalen Druck auf eine grenzüberschreitende Kooperation gegen Steuerflucht und andere unfaire Steuerpraktiken für legitim. Die Schweiz sollte dies öffentlich anerkennen und den Standpunkt der Steuerehrlichkeit zur massgebenden Perspektive ihrer künftigen Politik in Steuersachen machen. Erst dieser grundsätzliche Perspektivenwechsel wird uns gestatten, von den anderen Staaten Gegenrecht zu verlangen.

Wir sind uns bewusst, dass ein solcher Perspektivenwechsel eine enorme Herausforderung für unser Land bedeutet. Es muss ordnungspolitisch sichergestellt werden, dass alle Banken unverzüglich eine korrekte Praxis im Umgang mit steuerrelevanten Geschäften umsetzen. Daran führt kein Weg vorbei, selbst wenn das möglicherweise mit Einnahmeausfällen der öffentlichen Hand verbunden ist.

Der Bundesrat sollte deshalb rasch den Schritt zur vorbehaltlosen internationalen Kooperation in allen Steuerfragen vollziehen und insbesondere einen automatisierten Bankdatenaustausch mit Rechtsstaaten in geeigneter Form anstreben. Ein solcher Entscheid hat jetzt aus eigener Initiative zu erfolgen und nicht erst dann, wenn die Schweiz durch die internationale Gemeinschaft erneut unter Zugzwang gesetzt wird. Die öffentliche Aufforderung zum Nachdenken über Alternativen zur bisherigen Abwehrstrategie durch Frau Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und die von ihr geplante Taskforce zur Erarbeitung einer Gesamtlösung aller hängigen Steuerprobleme sind erste notwendige Schritte.

Der Grundsatz der Steuerehrlichkeit ist freilich unteilbar. Er muss im Inland ebenso gelten wie gegenüber dem Ausland. Der Rechtsstaat muss Steuerehrlichkeit von den Steuerpflichtigen im Inland ebenso einfordern wie von Personen mit ausländischem Wohnsitz. Das bedeutet keine generelle Aufhebung des Bankgeheimnisses! Das Bankgeheimnis bleibt ein elementarer Teil des Persönlichkeitsschutzes im Verhältnis von Bürger zu Bürger und vom Bürger zu den Wirtschaftsmächten. Doch darf es – auch im Inland – nicht länger gegenüber zuständigen Steuerbehörden gelten. Daher sind jede Bank und jeder Vermögensverwalter gegenüber der jeweils zuständigen Steuerbehörde genauso zur Auskunft zu verpflichten, wie es jeder Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenüber dem Steueramt mit dem Lohnausweis bereits jetzt ist. Bankdatenausweis und Lohnausweis müssen gleichgestellt werden.

Die Unterzeichnenden fordern den Bundesrat auf, rasch die nötigen Schritte zur Einführung eines Bankdatenaustauschs zu Steuerzwecken sowohl im Ausland wie im Inland bekannt zu geben. Es gilt unser Haus in Sachen Steuerflucht und Steuerhinterziehung in Ordnung zu bringen und so die derzeit lädierte Achtung der Schweiz als verantwortungsbewusstes Mitglied der Staatengemeinschaft wiederherzustellen.

Wenn Sie unser Manifest unterzeichnen möchten, bitten wir Sie, dies in Form eines kurzen Kommentars unten im Kommentarfeld zu tun. Ein Satz und Ihr voller Name genügen. Vielen Dank!

Folgende Personen haben das Manifest bisher unterschrieben:

  • Matthias Bertschinger
  • Dieter Noll
  • Romeo Rey
  • Thomas Graf
  • Dr. Carola Meier-Seethaler
  • Joachim Blatter
  • Ulrich Thielemann
  • Dr. rer. pol. Hans-Rudolf Schulz
  • Leo Sigrist-Spaeti
  • Hans-Ulrich Jost
  • Urs Muntwyler

Dieses Manifest ist zeitgleich erschienen in: Der Sonntag, Nr. 7, 17. Februar 2013, S. 19

* Diesen Text haben folgende Mitglieder von kontrapunkt mitunterzeichnet:
Gabriella Bardin Arigoni, Politologin, Universität der italienischen Schweiz; Prof. em. Dr. Beat Bürgenmeier, Volkswirtschaftler, Universität Genf; Prof. Dr. Marc Chesney, Finanzwissenschaftler, Universität Zürich; Prof. em. Dr. Jean-Daniel Delley, Politikwissenschaftler, Universität Genf; Dr. Peter Hablützel, Historiker, Bern; Dr. Dr. h.c. Gret Haller, Staatsrechtlerin, Universität Frankfurt am Main; Prof. Dr. Kurt Imhof, Soziologe, Universität Zürich; Prof. em. Dr. René Levy, Soziologe, Universität Lausanne; Prof. em. Dr. Philippe Mastronardi, Öffentlichrechtler, Universität St. Gallen; Prof. em. Dr. Hans-Balz Peter, Sozialethiker und Sozialökonom, Universität Bern, Dr. oec. HSG Gudrun Sander, Betriebswirtschaftlerin, Universität St. Gallen; Prof. Dr. Franz Schultheis, Soziologe, Universität St. Gallen; Prof. em. Dr. Dr. h.c. Beat Sitter-Liver, Philosophischer Ethiker, Universität Freiburg (Schweiz); Prof. Dr. Christoph Stückelberger, Wirtschaftsethiker, Universität Basel; Dr. h.c. Rudolf H. Strahm, Volkswirtschaftler, Herrenschwanden; Prof. em. Dr. Peter Ulrich, Wirtschaftsethiker, Universität St. Gallen; Prof. em. Dr. Mario von Cranach, Psychologe, Universität Bern; Prof. em. Dr. Karl Weber, Soziologe, Universität Bern; Prof. Dr. phil. Theo Wehner, ETH Zürich, Organisations- und Arbeitspsychologe (ZOA), Zürich; Daniel Wiener, MAS-Kulturmanager, Basel, Liliana Winkelmann, M.A., Volkswirtschaftlerin, Universität Zürich.

12 Kommentare zum "Manifest zur Steuer- und Finanzplatzpolitik der Schweiz: Kein Schutz mehr für Steuerflucht!"

  1. Bertschinger Matthias 17. Februar 2013 um 14:16 Uhr ·

    Wie lange sind Economiesuisse, Gewerbeverband, SVP, FDP noch glaubwürdig? Sind wir denn taub? Diese Parteien und ihre Ableger beleidigen mit ihren Aussagen und Positionen seit langem Anstand und Verstand! Endlich sagen kluge Köpfe laut Nein zur verblendeten Isolationspolitik der Schweiz. Es wäre nötig, sie täten das öfter!

  2. Noll Dieter, Architekt 19. Februar 2013 um 15:56 Uhr ·

    Endlich…ein Aufschrei der Intellektuellen und anderer Denker. Die Frage wird sein, ob es gelingt dem zunehmenden Patriotismus im Lande, bei gleichzeitig fortschreitender Integration von Europäischen Staaten, zu wehren. Der Patriotismus hat ja seine Wurzeln in der Annahme, eben doch ein auserwähltes Volk, eines unbekümmerten Wohlstandes zu sein und zu bleiben. Die schonungslose Wahrheit dem Volk zu sagen wagt hier niemand, auch wenn schon nach dem Ungemach Bankgeheimnis die nächste Zeitbombe, „Rohstoffhändlerparadies Schweiz“, tickt. Wer spricht als erster aus, dass man sich in Zukunft darauf einrichten muss, den unrechtmässigen, milliardenschweren Wettbewerbsvorteil abzubauen um sich international geltenden Regeln anzupassen?

    Endlich…ein Aufschrei der Intellektuellen und anderer Denker. Die Frage wird sein, ob es gelingt dem zunehmenden Patriotismus im Lande, bei gleichzeitig fortschreitender Integration von Europäischen Staaten, zu wehren. Der Patriotismus hat ja seine Wurzeln in der Annahme, eben doch ein auserwähltes Volk, eines unbekümmerten Wohlstandes zu sein und zu bleiben. Die schonungslose Wahrheit dem Volk zu sagen wagt hier niemand, auch wenn schon nach dem Ungemach Bankgeheimnis die nächste Zeitbombe, „Rohstoffhändlerparadies Schweiz“, tickt. Wer spricht als erster aus, dass man sich in Zukunft darauf einrichten muss, den unrechtmässigen, milliardenschweren Wettbewerbsvorteil abzubauen, um sich international geltenden Regeln anzupassen?

  3. Romeo Rey 21. Februar 2013 um 11:04 Uhr ·

    Ich gratuliere den Erstunterzeichnern zu diesem Manifest und unterschreibe es hiermit ebenfalls. Romeo Rey

  4. Thomas Graf 11. März 2013 um 14:56 Uhr ·

    Besten Dank für Ihr Engagement! Ich schliesse mich Ihrer Meinung an. Der Wohlstand der Schweiz soll auf fairer und partnerschaftlicher Basis aufgrund unserer Leistungsfähigkeit, Innovationskraft und Produktivität zustande kommen. Während Jahrzehnten haben uns die Finanzwirtschaft und eine Mehrheit der Politik vorgegaukelt, genau dies sei der Fall. Das Gegenteil kam in den letzten Jahren zum Vorschein: dass wir ein so reiches Land sind, weil hier seit Jahrzehnten mit viel schwarzem Geld viel Gewinn unrechtmässig erwirtschaftet wurde.

  5. Dr.Carola Meier-Seethaler 11. März 2013 um 18:37 Uhr ·

    Ich finde die Argumentationsweise des Manifests logisch stringent , ethisch begründet und unbedingt unterstützenswert

  6. Joachim Blatter 14. März 2013 um 11:06 Uhr ·

    Internationale Zusammenarbeit und die Stärkung supranationaler politischer Institutionen sind zentrale Bausteine für eine funktionsfähige Demokratie im 21. Jahrhundert!
    Die Schweiz hat enormen Nachholbedarf.

  7. Ulrich Thielemann 14. März 2013 um 11:07 Uhr ·

    Wenn die Schweiz aus freien Stücke und aus ethischer Einsicht diese einem demokratischen Rechtsstaat unwürdige Praxis des Diebstahls an ausländischem Steuersubstrat aufgibt (Achtung des Wohnsitz- und des Betriebsstättenprinzips, einschliesslich des Verzichts darauf, diese globalen Prinzipien schlaumerisch zu unterlaufen), erhält sie die Reputation zurück, die ihr als reifer Demokratie gebührt. Damit gewänne sie auch die moralische Autorität, an exponierter Stelle daran mitzuwirken, dem Prinzip der legitimen Steuerautonomie der Staaten, das auch andere Staaten unterlaufen und missachten, nachdrücklich auf globaler Ebene Nachachtung zu verschaffen.

  8. Hans-Rudolf Schulz, Dr. rer. pol. 14. März 2013 um 12:02 Uhr ·

    Das oben stehende Manifest unterstütze ich in allen Punkten.
    Besonders mühsam finde ich jeweils die Argumentation, andere Staaten würden auch Steuerflucht unterstützen und man würde vielleicht mitmachen, wenn alle anderen Staaten alle ihre Schlupflöcher gestopft hätten.
    Dies erscheint mir als eine perverse Form der Solidarität, ein Gut, welches ohnehin in fast allen Bereichen leider auf dem Rückzug ist.

    Mit bestem Dank und freundlichen Grüssen

    Hans-Rudolf Schulz, Riehen (BS)

  9. Leo Sigrist-Spaeti 14. März 2013 um 16:04 Uhr ·

    Ich habe nichts beizufügen, bin voll mit dem Anliegen einverstanden.

  10. Hans-Ulrich.Jost 17. Mai 2013 um 22:28 Uhr ·

    Einverstanden mit den im Manifest geäusserten Gedanken.
    Ich möchte das Manifest mit unterzeichnen.
    Prof. emerit. Hans-Ulrich Jost, UNIL

  11. Urs Muntwyler 18. Mai 2013 um 12:28 Uhr ·

    Es ist Zeit, dass der Anstand wieder Oberhand gewinnt – ich unterstütze das Manifest!

  12. Heinz Bruderer 26. Oktober 2013 um 22:04 Uhr ·

    Spät, aber nicht minder zustimmend begrüsse ich dieses wirklich fundamentale moralisch/ethische Werte ansprechende Manifest vorbehaltlos.
    Eine uneingeschränkte Einsicht der Steuerbehörde in Bankdatenausweise stellt natürlich hohe Anforderungen an die „Dichtheit“ des Amtsgeheimnisses auf dem Steueramt!

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