Geldschöpfung lieber privat als vom Staat? Zur Nationalratsdebatte über die schweizerische Vollgeld-Initiative
Autorin/Autor: Peter Ulrich
Der Titelbegriff der Geldschöpfung wird hier im weiteren Sinn verwendet. Er umfasst dann sowohl das gesetzliche Zahlungsmittel (CHF in Münzen und Banknoten sowie CHF-Sichtguthaben der Banken bei der Schweizerischen Nationalbank) als auch das Bankengiralgeld (Sichtguthaben auf Zahlungskonten der Geschäftsbanken). Letzteres dominiert längst längst den Zahlungsverkehr der Wirtschaft und der Bevölkerung. Zwischen dieser Realität und der Verfassungsidee hat sich ein breiter Graben aufgetan. Die Vollgeld-Initiative will im Kern nichts anderes als diesen Graben schliessen. Das Parlament hat – im Ständerat ebenso wie im Nationalrat – diese Chance jedoch versäumt. Wie wurde die Ablehnungsempfehlung begründet und was stimmt mit den vorgebrachten Argumenten nicht?
„Faktisch würde die Geldschöpfung verstaatlicht.“ Davor warnte in der Nationalratsdebatte zur Vollgeld-Initiative am 6. Dezember 2017 der Votant Beat Walti (FDP). Was vermeintlich als schlagendes Argument gegen das Vollgeldkonzept dient, entspricht jedoch dem ursprünglichen Auftrag der Bundesverfassung (BV). 1891 wurde in einer Volksabstimmung das Geldschöpfungsmonopol des Bundes mit Bezug auf die damals den Zahlungsverkehr dominierenden Münzen und Banknoten angenommen und 1951 wiederum per Volksabstimmung bestätigt. Ergänzt wurde die BV 1951 um die Aufgabe der Nationalbank, „den Geldumlauf des Landes zu regeln, den Zahlungsverkehr zu erleichtern und im Rahmen der Bundesgesetzgebung eine dem Gesamtinteresse des Landes dienende Kredit- und Währungspolitik zu führen“ (Art. 39, Abs. 3, der BV 1874 bis 1998).
Bankengiralgeld, wie es heute den schweizerischen Zahlungsverkehr zu etwa 90% dominiert, wird in der BV bis heute nicht erfasst. Erst 1999 erwähnt es der Bundesrat in seiner Botschaft zum Bundesgesetz über die Währung und die Zahlungsmittel. Darin hält der Bundesrat ausdrücklich fest, dass dem „Banken-Buchgeld“ wie auch dem „virtuellen Geld (‚cybercash‘)“ auf Debit- und Kreditkarten der Status des gesetzlichen Zahlungsmittels fehle. Der Unterschied bestehe darin, „dass der Inhaber von Zentralbankgeld ausschliesslich ein makroökonomisches Risiko (des Kaufkraftrückgangs) auf sich nimmt, während der Inhaber von Bankguthaben zusätzlich das spezifische, mikroökonomische Kreditrisiko einer einzelnen Bank trägt.“
Eine Vollgeldreform schliesst im Kern genau den gap zwischen der verfassungsmässig intendierten Geldhoheit des Bundes und der heute völlig anderen, deutlich riskanteren Realität des Geldsystems. Vollgeld ist unabhängig von seiner Form – Münzen, Noten oder zukünftig elektronisches Bargeld – Zentralbankgeld, also gesetzliches Zahlungsmittel. Dass im Parlament dennoch vorwiegend dagegen votiert wurde, mutet seltsam an. Immerhin wurden ungelöste Stabilitätsfragen unseres historisch gewachsenen und etwas aus dem Ruder gelaufenen Geld- und Finanzsystems eingeräumt. Dass die Initiative zumindest einige der Probleme verringern könnte, haben in der Nationalratsdebatte zahlreiche Votantinnen und Votanten ausdrücklich anerkannt. Das zitierte „Kreditrisiko“ auf Vollgeld-Zahlungsverkehrskonten würde ebenso entfallen wie die Gefahr eines volkswirtschaftlichen Kreislaufkollapses. Das „Too-big-to-fail“-Problem kriselnder Geschäftsbanken liesse sich so samt der Geiselhaft der Steuerzahler zur allfälligen Bankenrettung ursächlich überwinden.
Was der Initiative entgegengehalten wird, ist demgegenüber nicht sehr gewichtig, da es bei näherem Hinsehen fast durchweg auf Missverständnissen beruht. So wird etwa befürchtet, das Vollgeldsystem laufe – schon wieder der alte Hut – auf eine Verstaatlichung der Kreditwirtschaft hinaus. Doch diese bleibt nach dem Initiativtext klar Sache der dezentralen Geschäftsbanken. Oder es wird vor einer Kreditverknappung gewarnt – ebenfalls substanzlos, denn die SNB wird, soweit es ihre Stabilitätspolitik erlaubt, den Banken jederzeit die Finanzierung ihrer Kreditvergabe zu günstigen Konditionen gewährleisten. Oder es wird die Überforderung der SNB mit der Aufgabe der makroökonomischen Geldmengensteuerung befürchtet. Auch das ist gegenstandslos, denn solange die SNB nicht eine überhitzte Konjunktur bremsen will, wird sie das Wachstum der zirkulierenden Geldmenge nicht einschränken. Zu ihren Instrumenten gehören weiterhin auch die Zinspolitik und die Offenmarktpolitik, also der Kauf bzw. Verkauf von Wertpapieren und Devisen, sei es direkt bei den Banken oder an der Börse. Das Instrumentarium der SNB wird nicht eingeschränkt, sondern erweitert; und mit dem sicheren Vollgeld wird ihre stabilitätspolitische Aufgabe erst noch wesentlich erleichtert.
Gegen diese Sachlage sind substanzielle Gegenargumente in den Ständerats- und Nationalratsdebatten bisher nicht aufgetaucht. Die Räte wirken ratlos in ihrem offenbar vorentschiedenen Bemühen, den hoch riskanten Wildwuchs des Bankengiralgelds zu verteidigen. Das vorherrschende Abwehrdispositiv geht dahin, den Spiess einfach umzukehren und vor den angeblich unverantwortlichen Risiken einer noch in keinem Land erprobten Reform zu warnen. Gewiss: Echte Innovationen sind nie ganz risikofrei. Aber traut sich das Parlament die kontrollierte Umsetzung einer rationalen Geldreform wirklich nicht zu? Den Gemeinspruch zu dieser Haltung hat SNB-Präsident Thomas Jordan selbst beigesteuert: „If it’s not broken, don’t fix it.“ Aha – der Giralgeld-Krug soll zum Brunnen gehen bis er bricht. Die Vollgeldreform setzt auf eine andere Erfahrungsweisheit: Vorbeugen ist besser als heilen!
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Dieser Beitrag ist (mit anderem Lead und leicht gekürzt) als „Gastkommentar“ in der Neuen Zürcher Zeitung Nr. 295 vom 19. Dezember 2017, S. 10, erschienen.
Individuelle Texte sind nicht durch das Diskursverfahren von kontrapunkt gelaufen.
2 Kommentare zum "Geldschöpfung lieber privat als vom Staat? Zur Nationalratsdebatte über die schweizerische Vollgeld-Initiative"
Die Vollgeldinitiative wurde verworfen. Finanztransaktiondsteuer wird kaum umgesetzt.
was halten Sie von der Microtaxidee von lic.oec. F.Bolliger?
Dazu meine Überlegungen:
Festtage sind vorbei, wir sind schon im neuen Jahr 2017, eine utopische Idee besetzt meinen Kopf massiv. Die Microtax Idee in der Schweiz vertreten durch lic.oec. HSG Bolliger.
Es handelt sich um ein neues Besteuerungssystem. Ein absoluter Paradigmenwechsel. Sämtliche Steuern und Abgaben sogar die Sozialabgaben werden durch eine Besteuerung der Geldflüsse ersetzt. Es ist wie eine Art Turbine am enorm grossen Geldfluss. In der Schweiz ist dieser Strom 100’000 Milliarden gros.1 Promille je Belastung und Gutschrift also zwei Promille decken den Haushalt von Bund, Kantonen, Gemeinden, und die Altersversorgung mit 200 Milliarden übermässig ab es sind nämlich nur 170 Milliarden.
Etwas scheint mir irgendwie fragwürdig: der grösste Teil des Geldstromes kommt nicht von der Realwirtschaft sondern von der abgehobenen Finanzwirtschaft die mit der neuen Besteuerung belastet würde. Was geschieht wenn dieser Fluss versiegt? Vielleicht eine Gesundung des Systems dass ausser Rand und Band geraten ist. Man müsste dann den Steuersatz einfach den neuen Umständen anpassen.
Grossartig finde ich den Paradigmenwechsel für den Steuerzahler und Sozialabgabe Leister. Keine Lohn- und Vermögenssteuer mehr, keine Sozialabgaben mehr. Keine Steuerflucht oder Steueroptimierung mehr, keine Sozialschmarotzer, Schwarzarbeiter mehr. Das Steuer Amt kümmert sich nur noch um die Finanzdienstleister (SIC, Forex, Banken, Post usw.) die die Steuer abschöpfen und an den Staat weiterleiten müssen. Es sollte ihnen natürlich verboten sein im Darknet steuerfreie Ströme zu betreiben sie würden ja für ihre Leistung honoriert.
Auch keine Mehrwertsteurer mehr. Der Konsum verbilligt sich um 8% !!! und die komplizierten Abrechnungen mit Belegen fallen weg.
Der Handel und die Kunden atmen auf.
Grossartig finde ich die Idee, weil damit die neuen Arbeitsformen, Zeitarbeit, Heimarbeit, Freelancearbeit usw. nicht mehr besteuert und belastet werden was mit dem alten Steuersystem fast unmöglich ist. Der Staat muss nicht mehr Schwarzarbeit ahnden. Die Zustimmung der Bürger, (ausser der Banker) wäre sicher enorm. Die 1 Promille Abgaben für den Steuerzahler würden ihn mit 200.—belasten im Vergleich zu den 20’000.—die er gegenwärtig mit einem Einkommen von 100’000.- bezahlt.
Die Microtax ist natürlich nur effizient wenn der Bargeldverkehr sich stark reduziert.
Dazu müssten 1000.—500.—200.—Banknoten zurückgezogen werden. Dann wird es sehr umständlich grössere Beträge Bar zu zahlen. Die Flucht ins Bargeld würde desto weniger eintreten da die 1 Promillesteuer kaum ein Motiv ist um die Kompliziertheit der Bargeldzahlung in Kauf zu nehmen.
Wie schon angeführt könnte die Entwicklung des Arbeitsmarktes im Zuge der Industrialisierung 4.0 zu immer mehr befristeten Arbeitsverhältnissen kommen. Die Arbeit verschwindet teilweise, sie diffundiert in zahlreiche Deals die der Arbeitnehmer als Zeitangestellter oder Unabhängiger leistet. Die Steuern auf diese Einkommen zu basieren wird immer komplizierter und es ist für den Staat sehr aufwendig dieses diffuse Steuersubstrat für die Steuer und die Sozialabgaben zu erfassen.
Mehrwertsteuer wird oft eingesetzt und erhöht weil es zunächst nicht auf einer Steuerrechnung erscheint und man es kaum merkt, aber diese Steuer belastet die ärmeren Haushalte überproportional da diese Soziogruppe fast ihr ganzes Einkommen ausgibt.
In der Politik würde die Microtax bestimmt hitzige Diskussionen auslösen.
Die Linken möchten den Steuerfuss hoch ansetzen um mehr vom Staat zu erhalten.
Ein zu hoher Steuerfuss würde im Lager der Rechten das Bedenken dass der Geldfluss sich verringert verstärken. Vielleicht würde sich nach einigen Jahren Microtax der Steuerfuss austarieren.
Das Vollgeldprinzip ist durch die Microtaxidee nicht in Frage gestellt. Vollgeld will die Geldschöpfung staatlich regulieren und dabei die Seigneurage dem Gemeinwohl zuführen.
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommen wäre mit Microtax zu finanzieren.
Dies Einkommen müsste eine einfachen AHV Minimalrente entsprechen. Damit müsste der Staat Sozialleistungsempfänger nicht mehr zur Arbeit anhalten und mit beleidigenden Untersuchungen ihr Anrecht auf Hilfe nur mit dem Beweis ihrer Mittellosigkeit zugestehen.
Lieber Herr Zentner, danke für Ihren Kommentar. Kontrapunkt-Mitglied Prof. Marc Chesney ist Mitglied des Initiativkomitees für eine „Mikrosteuer auf dem bargeldlosen Zahlungsverkehr“. Wir haben kürzlich an einer Ratssitzung über das Vorhaben diskutiert und es grundsätzlich gutgeheissen. Marc Chesney wird dazu demnächst einen kurzen Text veröffentlichen, dem ich nicht vorgreifen möchte. Ihren Überlegungen stimme ich weitestgehend zu. Es wird – auch realpolitisch – wichtig sein, dass bestehende Steuern nur schrittweise in dem Mass reduziert und schliesslich aufgehoben werden, wie der Ertrag der Mikrosteuer das auch nach gewissen zu erwartenden Ausweichtendenzen erlaubt. Die Grundidee der Mikrosteuer erscheint mir auf jeden Fall interessant und unterstützenswert.