Die Schweiz braucht schärfere Regeln
Autorin/Autor: Peter Habluetzel
(Interview mit Balz Bruppacher in: Zentralschweiz am Sonntag, 06.02.11, S. 33)
1. In Ihrem vor Jahresfrist verfassten Buch „Die Banken und ihre Schweiz“ (Zürich: Conzett/Oesch 2010) stellten Sie die doppelte Frage, ob die Finanzmarktkrise ein Wendepunkt in der Geschichte und ein Wendepunkt in der Zeitgeschichte der Schweiz sei. Gibt es heute schon gültige Antworten?
Die Interpretation der Zeitgeschichte ist immer provisorisch, da sie sich mit Entwicklungen befasst, die morgen eine andere Wendung nehmen können, als wir heute glauben. Ich halte die Finanzmarktkrise insofern für eine historische Wende, als wir im Hinblick auf Marktversagen und Staatsversagen risikobewusster geworden sind und deshalb einsehen sollten, dass privates Gewinnstreben und politische Regulierung neu austariert werden müssen. Dazu braucht es unternehmerische, nationalstaatliche und internationale Entscheidungen. Ob auch die Schweiz diese Herausforderung als eine Chance begreift und nutzen kann, ist allerdings noch nicht so klar.
2. Nächste Woche präsentieren die beiden Grossbanken ihre Jahresabschlüsse. Auch bei der UBS werden es wieder schwarze Zahlen sein. Zudem will die UBS die Boni kräftig erhöhen. Kann die Krise abgehakt werden?
Nein. Die Krise geht weiter, auch wenn die Verschuldung der Banken von einer Verschuldung der Staaten abgelöst worden ist. Solange die Finanzmärkte nicht besser reguliert sind, können immer wieder gefährliche Spekulationsblasen entstehen. Wenn die Banken die Gewinne nutzen, um ihre Boni statt ihr Eigenkapital und damit die Sicherheit auf den Finanzmärkten zu erhöhen, verschärfen sie die Legitimationskrise, in der sie sich heute schon befinden.
3. Die Schweiz rühmt sich, bei den regulatorischen Lehren aus der Krise international eine Vorreiterrolle zu spielen, und verweist auf schärfere Regeln bei Eigenmitteln und Liquidität sowie auf Leitlinien in der Vergütungspolitik. Mit dem TBTF-Paket kommt der grösste Brocken voraussichtlich im Sommer ins Parlament. Sind wir auf dem richtigen Weg? Wo sehen Sie Lücken/Schwachstellen bei der Regulierung?
Die Bestrebungen gehen in die richtige Richtung, aber sie gehen zu wenig weit, und vor allem: sie sind noch nicht beschlossen und umgesetzt. Die Eigenmittel müssen massiv erhöht werden, nicht nur in Bezug auf die geschätzten Risiken, sondern vor allem in Bezug auf die Bilanzen, denn im Krisenfall zählt die reale Verschuldung und nicht die Wahrscheinlichkeit, mit der das Risiko hätte eintreffen dürfen. 2008 waren die Geschäfte der Banken auf eigene Rechnung das grösste Problem; deshalb sollte der Eigenhandel der Grossbanken eingeschränkt oder mit dem Trennbankensystem sogar verboten werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Grossbanken in der Schweiz mit Bezug auf das Bankensystem und auf das Bruttoinlandprodukt viel, viel grösser sind als anderswo. Wir brauchen deshalb eine schärfere Regelung des Too big to fail Problems als andere Länder.
4. Wie beurteilen Sie die politische Realisierbarkeit der hängigen Regulierungsvorhaben? Ist da ein Umdenken, zum Beispiel was die Risiken der Grossbanken betrifft, zu beobachten? Oder gewinnen die „bewahrenden“ Kräfte bereits wieder die Oberhand?
Die rüden Angriffe auf den Nationalbankpräsidenten deuten darauf hin, dass uns harte Auseinandersetzungen um die Bankenregulierung bevorstehen. Ich hoffe, dass sich die Politik durch die Gewinne der Grossbanken nicht von ihrem Auftrag abhalten lässt, den Markt nachhaltig zu regulieren.
5. Die Nationalbank hat für ihr Krisenmanagement fast uneingeschränktes Lob erhalten. Seit den massiven Devisenmarktinterventionen im letzten Frühling ist sie bzw. ihr Präsident jedoch einem Crescendo von Kritik und Polemik ausgesetzt. Wie burteilen Sie die Rolle der Nationalbank? Soll sie neue Aufsichtskompetenzen bei der sogenannten makroprudentiellen Regulierung erhalten?
Die Nationalbank hat seit Sommer 2007 – im Verbund mit anderen Zentralbanken – das Bankensystem mit zusätzlicher Liquidität versorgt. Sie hat im Herbst 2008 der UBS für 40 Milliarden faule Papiere abgekauft und damit die grösste Schweizer Bank vor dem Untergang gerettet. Sie ermöglicht den Banken durch ihre Tiefstzinspolitik, wieder schöne Gewinne zu schreiben. Und sie hat 100 Milliarden Franken neu geschöpft, um Euro zu kaufen, auf den Devisenbeständen aber einen Buchverlust von 20 Milliarden eingefahren. Wer hat wohl die entsprechenden Buchgewinne gemacht? Vermutlich das Bankensystem, das diese Gewinne mit seinem riesigen Devisenhandel realisieren kann. Die Banken müssten Hildebrand eigentlich dankbar sein. Auch für seine Absicht, den Finanzmarkt strenger zu regulieren. Die Krise hat gezeigt, dass wir es mit systemischen Problemen zu tun haben, die sich aus dem komplexen Zusammenspiel vieler, v.a. auch internationaler Elemente ergeben. Für die „makroprudentielle“ Aufsicht über diese systemischen Zusammenhänge ist die Nationalbank besser geeignet als die FINMA.
6. Wie beurteilen Sie die Weissgeldstrategie auf dem Finanzplatz nach dem Fall des fiskalischen Bankgeheimnisses? Tut die Schweiz genug gegen Potentatengelder?
Die Abgeltungssteuer erscheint im Moment vielleicht als erfolgversprechend, aber sie ist kaum nachhaltig, weil nicht alle Länder damit einverstanden sind. Mich stört auch, dass die Schweiz gegenüber Entwicklungsländern am alten Bankgeheimnis festhält und dass Diktatoren als Bankkunden bei uns immer noch hoch willkommen sind, jedenfalls solange sie die Macht nicht verlieren.
Mehr zu dieser Thematik in meinem Buch:
Peter Hablützel: Die Banken und ihre Schweiz. Perspektiven einer Krise Conzett/Oesch Verlag, Zürich 2010, 304 Seiten, SFR 28.-
Individuelle Texte sind nicht durch das Diskursverfahren von kontrapunkt gelaufen.