Sie machen Geld mit Geld, das sie nicht haben
Autorin/Autor: Christian Mueller
Die Banken geschäften anders, als Heiri Müller sich das denkt. Sie kassieren voll und zahlen ihrerseits nur einen Bruchteil.
Oswald Grübel, 1943 als Ossi geboren, in der deutschen Finanz-Metropole Frankfurt am Main zum Banker ausgebildet, ab 2002 Boss der Credit Suisse und 2011 an Adoboli gestrauchelter Boss der UBS, neigt – entgegen NOMEN EST OMEN – nicht zu Grübeleien. Im Gegenteil: Seine gelegentlichen Verlautbarungen waren und sind noch immer eher unsensibel. Aber sie haben den Vorteil, dass sie den Hörer und die Hörerin, den Leser und die Leserin ihrerseits zum Grübeln anregen. So etwa, wenn Grübel im September 2011, kurz vor seinem Sturz, noch sagte, an der Finanzkrise seien nicht die Banken schuld, sondern die Politik, die den Banken alles erlaubt hätte. Grübel damals wörtlich: «Inzwischen ist belegt, dass die Finanzkrise zum Grossteil aufgrund politischer Entscheide entstanden ist.»
Wie sich Heiri Müller das Bankgeschäft vorstellt
Stellen wir uns vor: Herr Samuel Säckelmeister (Name erfunden) hat viel Geld. Ob geerbt, ergaunert, im Casino gewonnen, mit Fleiss erarbeitet oder mit einer cleveren Erfindung zusammengetrommelt, spielt hier keine Rolle. Was soll er nun mit dem vielen Geld tun? Sein Nachbar ist Schreiner und sollte eine neue Motorsäge haben, hat aber bar zu wenig Geld dafür. Samuel Säckelmeister gibt ihm das nötige Geld, verlangt aber dafür – verständlicherweise, vor allem auch wegen des Risikos, das Geld nie wieder zurückzuerhalten – einen Zins. Sagen wir 5 Prozent. Damit hat Samuel Säckelmeister den ersten Schritt zur Bank gemacht. Und je mehr Geld er verdient – jetzt auch durch die kassierten Zinsen –, umso mehr Geld kann er ausleihen – und wieder Geld verdienen. Inzwischen hat er die Regierung gefragt, ob er sich Bank nennen darf, und dafür die Bewilligung erhalten. Jetzt kann der – inzwischen ebenfalls erfolgreiche – Schreiner sein mit der Motorsäge erwirtschaftetes Bargeld der Bank auf ein Konto legen. Er erhält dafür 2 Prozent Zins. Und die Bank kann es wieder an andere Handwerker ausleihen und dafür 5 Prozent Zins kassieren. Von der Zinsdifferenz leben dann die Bank-Manager und – Angestellten, die alles abwickeln und verbuchen müssen.
So stellt sich Heiri Müller vor, wie eine Bank entstanden ist und wie sie funktioniert. Nur: Das war vielleicht einmal so. Heute ist das alles kalter Kaffee. Heute leihen die Banken im grossen Stil Geld aus, das sie gar nicht haben!
Geld ausleihen, das man nicht hat, und dafür Zinsen kassieren
Da heute Darlehen nicht mehr in Bargeld (Banknoten und Münzen) vergeben werden, sondern in Form einer bargeldlosen Gutschrift, kann die Bank heute Darlehen vergeben in einer Höhe, die sie mit Bargeld nie leisten könnte. Einen (kleinen) Teil davon muss sie als Eigenkapital hinterlegen und auch eine Mindestreserve sicherstellen, aber die Banken vergeben heute über zehnmal mehr Darlehen, als sie selber Bargeld haben – in Form von Buchgeld (oder Giralgeld), das nur in den Büchern als Guthaben existiert. Um einer Firma, die eine neue Maschine braucht und eine Million Euro von der Bank als Kredit aufnehmen möchte, diese Million als Darlehen zu «geben», braucht die Bank nach den heutigen Regeln nicht einmal 100’000 Euro eigenes Geld. Und wie man mit diesem System der «Geldschöpfung» erst auf den Finanzmärkten herumturnen kann: unglaublich!
Wen wundert es da, wenn noch vor zwei drei Jahren die Banker als Ziel eine «Eigenkapitalrendite» von 20 Prozent angaben? Auch Sergio Ermotti, Grübels Nachfolger an der Spitze der UBS, redet von 12 bis 17 Prozent. Kunststück, wenn man für den ganzen Betrag einen (scheinbar angemessenen) Zins verlangt, das Geld, das man (als Buchgeld) rausgibt, selber aber gar nicht haben muss. Sprich: Die Banken kassieren ihre mittlerweile hohen Zinsen für Geld, das sie gar nicht haben.
Etwas kompliziert, bestimmt. Aber genau das ist das Problem. Würden die Politiker und die Stimmbürger nämlich echt verstehen, wie das heutige Bankgeschäft abläuft, würden sie es in dieser Form verbieten.
Doch wie läuft es in der Politik? Auch ein Parlamentarier kann nicht in allen Branchen alles verstehen, wie ein Spezialist. Also lässt er sich beraten. Von wem? Für ein Gesetz, das die Banken betrifft: von einem Banker!
Und damit zurück zu Oswald Grübel: Wenn Oswald Grübel sagt, die Politik sei an der Krise schuld, hat er nicht ganz unrecht. Denn die Politik macht den katastrophalen Fehler, dass sie sich mehr und mehr von den Banken beraten lässt.
Echte Reformen werden in den Wind geschlagen
Kein Banker wird je vorschlagen oder auch nur zustimmen, dass (wieder) nur soviel Geld ausgeliehen werden darf, wie wirklich als (Bar)Geld zur Verfügung steht. Genau das aber muss als Regel wieder eingeführt werden. Denn könnten die Banken nur das Geld gegen Zinsen ausleihen, das sie wirklich haben, sie würden es weder an zahlungsunfähige Hausbesitzer geben (Subprime-Krise) noch an Leute, die einen Porsche statt einen VW haben möchten (Konsum-Kredit-Blase) noch an Staaten, die jedes Jahr mehr Geld ausgeben, als sie einnehmen (sogenannte Staatsverschuldungs- oder Euro-Krise). Aber wenn ich Spanien Geld ausleihen kann, dafür nicht einmal 10 Prozent Eigenkapital brauche und trotzdem auf dem ganzen Betrag 7 Prozent Zins kassieren kann, warum soll ich das dann nicht machen? Umso mehr, als ich als Grossbank ja weiss, dass mich der Staat nie fallen lassen wird!
Der Euro-Rettungsschirm müsste Banken- Rettungsschirm heissen
Würden die Parlamentarier und hinter ihnen ihre Wähler, also auch Heiri Müller, das Meccano der Finanzwirtschaft wirklich verstehen, sie würden ganz schnell für Abhilfe sorgen. Dass man für seine Arbeit Geld erhält, ist akzeptiert; da herrscht weltweit Konsens (Nur dass es der fortgeschrittenen Produktionstechnologien wegen immer weniger Arbeit braucht, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen, will niemand wahrhaben). Dass man auch Geld aus Geld machen kann, ist bereits problematisch. Dieses Thema ist Stoff für so viele Bücher, dass ganze Bibliotheken damit gefüllt werden können. Dass man aber auch Geld machen kann aus Geld, das man gar nicht hat, dessen ist sich Heiri Müller, der «normale» Stimmbürger, die «normale» Stimmbürgerin, noch gar nicht bewusst. Denn wäre er das, er würde den Banken ganz schnell das Handwerk legen.
Der deutsche Wirtschaftssoziologe Professor Joseph Huber nennt die dringend notwendige Korrektur des Finanz-Systems die Einführung (oder die Rückkehr) des Vollgeldes, also des Systems, wonach die Banken in eigener Kompetenz kein neues Geld schaffen dürfen, sondern nur das Geld verwenden können, das sie von der Nationalbank (gegen Bezahlung eines Zinses) ausgeliehen bzw. als Eigenkapital haben (Infosperber berichtete). Solange diese Korrektur des Finanzsystems nicht vorgenommen werde, sagt Huber, seien alle Massnahmen, die als Euro-Rettungsschirm bekannt seien, nichts anderes als ein Banken- Rettungsschirm (siehe seine ausführliche Argumentation unten unter «weiterführende Informationen»).
Nicht Reparatur ist angesagt, sondern echte Reform
Seit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise im Jahre 2008 versuchen die Politiker rund um den Globus, mit immer neuen Lockerungen der Zentralbanken das Schlimmste abzuwenden. De facto verschieben sie das Problem einfach in die (nahe) Zukunft. Und sie riskieren, dass die zunehmende Menge von Geld im Umlauf zu einer starken Inflation führt.
Doch sollte das eintreffen, nein, dann sind natürlich erneut nicht die Banken schuld. Was sagt Oswald Grübel zu diesem Problem? «Einige Staaten sind so stark verschuldet, dass sie ihre Kreditwürdigkeit fast verloren haben. Allen ist klar, dass dieser Zustand geändert werden muss und dass das nur mit Sparen geht.» So Grübel im «Sonntag», 30.9.2012.
Dann aber holt Grübel aus: «Die grosse Masse der vom Staat abhängigen Bevölkerung protestiert und ist nicht bereit, die notwendigen Kürzungen ihrer Bezüge zu akzeptieren. Die Politik erkennt sehr schnell, dass es sich dabei um einen wahlentscheidenden Teil der Bevölkerung handelt und ihr demnach nichts anderes übrig bleibt, als nachzugeben.»
Ist also schon wieder «die Politik» schuld?
Nein, diesmal sind es nicht die Politiker, ist es nicht «die Politik», diesmal ist es das System: die Demokratie. Grübel wörtlich: «Das heisst, dass wir in unseren heutigen Demokratien nur begrenzt in der Lage sind, Ausgaben zu kürzen, was wiederum zu noch höheren Schuldenbergen führen wird und eines Tages nur mit einer drastischen Geldentwertung gelöst werden kann. Es scheint, wir wollen an dieser Tradition festhalten. Das sind keine schönen Aussichten, aber leider besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass uns unser demokratischer Prozess wieder einmal dahin führt.»
Jetzt wissen wir es: Die Demokratie ist an allem schuld. Stoff zum Grübeln…
(Dieser Text ist zuerst auf der Informationsplattform www.infosperber.ch erschienen.)