Too Big to Fail: Die Macht der Grossbanken in der Schweiz

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Bundesrat und FINMA sind in der Pflicht. Warum handeln sie nicht?

Der Finanzmarktkrise von 2008/9 verdanken wir drei wichtige Einsichten:

1. Die Banken und namentlich die international tätigen Grossbanken halten zu wenig Eigenmittel, um jederzeit mögliche Krisen ohne Staatshilfe überstehen zu können. Basel II mit seiner Ausrichtung auf die risikogewichteten Aktiven hat eine falsche Sicherheit vorgetäuscht. Die Risiken sind bisweilen schwer einzuschätzen, und im Krisenfall geht es nicht darum, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Verlust hätte eintreffen dürfen, sondern wie gross die konkret vorhandenen Puffer sind, die das Problem abfedern helfen. Deshalb braucht es nicht nur strengere Vorschriften für die Berechnung der risikogewichteten Aktiven, sondern zusätzlich eine Leverage Ratio, die vorschreibt, mit wie viel Eigenkapital die gesamte Bilanz einer Bank unterlegt sein muss. Die UBS ist 2008 mit weniger als 2% Eigenmittel in die Krise geschlittert und konnte sich nicht mehr selber retten.

2. Viele international tätigen Grossbanken sind zu gross und so eng mit Finanzmarkt und Realwirtschaft verflochten, dass man sie in einer Krise kaum mehr fallen lassen darf. Schon eine Vertrauenskrise im Interbankengeschäft kann den Zahlungsverkehr ganzer Volkswirtschaften gefährden. Wer hätte im Oktober 2008 die Verantwortung dafür übernehmen wollen, dass Zehntausende mittlere und kleine Unternehmen mit Kontokorrent bei der UBS ihre Löhne nicht mehr hätten auszahlen können? Wenn aber „systemrelevante“ Banken damit rechnen können, im Notfall gerettet zu werden, ist die Gefahr gross, dass sie zu hohe Risiken eingehen (Moral Hazard). Die Absicherung durch Notenbank und Staat wirkt wie eine Subventionierung, was den Wettbewerb verzerrt. Eine massive Erhöhung der Eigenmittel wäre die beste Bremse gegen solche Entwicklungen; in diesem Punkt sind sich die Fachleute einig.

3. Was die Schweiz betrifft, so sind wir bezüglich Gepflogenheiten der Grossbanken kein Sonderfall, aber wir sind ein Spezialfall, wenn wir die Gefahren mit in Betracht ziehen, die auf dem Finanzmarkt entstehen können: Kein vergleichbares Land hat verhältnismässig einen so grossen Finanzsektor und ist global so hoch investiert wie die Schweiz. Und nirgendwo ist die Finanzindustrie stärker konzentriert. Auch nach der Krise halten die beiden Grossbanken UBS und CS, die ihre Geschäfte massiv zurückgefahren haben, immer noch mehr als 50 Prozent der Bilanzsumme aller Banken der Schweiz (2007 waren es knapp 70%), was dem fünffachen(!) Betrag unseres Bruttoinlandproduktes entspricht. Zum Vergleich: die Bilanzsumme aller amerikanischen Banken zusammen ist etwa gleich gross wie das BIP der USA. Wenn wir die Too-big-to-fail-Problematik  nicht in den Griff kriegen, droht in einer nächsten grossen Krise die Islandisierung der Schweiz, weil der Staat und die Volkswirtschaft einen GAU auf dem Finanzplatz gar nicht verkraften könnten.

Unsere Behörden wissen, was dagegen getan werden muss. Aber sie wagen nicht, es zu tun. Die EBK/FINMA hat zwar schon im November 2008 mit den Grossbanken ausgehandelt, die Eigenmittel etwas zu erhöhen und zusätzlich eine Leverage Ratio einzuführen. Ab 2013 muss das Kernkapital der beiden Banken im Verhältnis zur Bilanzsumme auf Konzernebene minimal 3% und auf Ebene Einzelinstitute minimal 4% betragen, wobei allerdings das inländische Kreditgeschäft von der Leverage Ratio ausgenommen wird. Das ist eine eher bescheidene Absicherung, die zum Beispiel nicht ausgereicht hätte, um die Grossbanken aus der Immobilienkrise zu Beginn der 90er Jahre zu retten.

In der Zwischenzeit haben die Behörden eingestanden, dass die Unterlegung mit Eigenmitteln viel weiter gehen sollte. Sie halten für die beiden Grossbanken einen Kapitalzuschlag von 6 Prozent gegenüber Basel III für angemessen. Für Mark Branson, ehemals UBS und heute Geschäftsleitungsmitglied der FINMA, „ist ein rascher Kapitalaufbau entscheidend“, denn „erstens wurde das erforderliche Kapital für Handelsgeschäfte (…) bisher viel zu tief veranschlagt; zweitens reichen die heutigen Mindestanforderungen zur Eigenmittelunterlegung für international tätige Banken nicht aus, und drittens erfüllen viele der heute anerkannten Kapitalinstrumente (…) ihre Aufgabe als Sicherheitspuffer nicht (…) das Kapital ist nur von unterdurchschnittlicher Qualität“ (Jahresmedienkonferenz der FINMA vom 22.03.11). Anne Héritier Lachat, Präsidentin der FINMA, doppelt nach: Das Projekt „Too big to fail“ ist für die Schweiz unabdingbar, weil wir zwei Grossbanken haben, welche die wirtschaftliche Existenz der Schweiz gefährden können (…) Wir können wegen des Gewichts der Grossbanken nicht zuwarten. Das wäre fahrlässig.“ (NZZaS 27.03.11)

Da fragt man sich als Bankkunde und Steuerzahler besorgt, warum denn Bundesrat und FINMA nicht sofort vorschreiben, die Eigenmittel so rasch als möglich auf ein angemessenes Niveau zu heben. Als Aufsichtsbehörden wären sie dazu verpflichtet und rechtlich auch in der Lage, denn der Art. 4 des Bankengesetzes, wie er 2005 in Kraft getreten ist, sieht bezüglich Eigenmittel folgendes vor: „Der Bundesrat (…) legt die Mindestanforderungen nach Massgabe der Geschäftstätigkeit und der Risiken fest. Die FINMA ist ermächtigt, Ausführungsvorschriften zu erlassen“ (Ziff. 2). „Die FINMA kann in besonderen Fällen (…) Verschärfungen anordnen“ (Ziff. 3). In der Botschaft hielt der Bundesrat fest, der Art. 4 des Bankengesetzes erlaube „dem Verordnungsgeber, eine quantitativ und qualitativ differenzierte Regelung einzuführen (…) Er kann somit den verschiedenen Geschäftstätigkeiten sowie auch den Grössenverhältnissen und institutsspezifischen Methoden (…) besser Rechnung tragen“ (BBl 2002 6279). Und was die systemischen Risiken der Grossbanken betrifft, präzisierte der Bundesrat: „Vorschriften, welche von den international tätigen Grossinstituten die Einhaltung besonderer Erfordernisse verlangen würden, um den Systemrisiken vorzubeugen, sind (…) bei der gewählten weiten Formulierung nicht ausgeschlossen“ (BBl 2002 6282). Damit kam er dem Anliegen der Motion Strahm aus dem Jahre 1998 wenigstens etwas entgegen. Für die Botschaft war damals Villiger federführend, weshalb es sich kaum um einen „Schnellschuss“ handeln kann… (Villiger hat in der Aargauer Zeitung vom 15.03.11 die Vorschläge des Bundesrates als Schnellschuss bezeichnet).

Aber was nützen schöne Rechtsgrundlagen, wenn der politische Wille fehlt, ein heikles Problem anzugehen? Bei der Rettung einer Grossbank mit Steuergeldern ging man im Oktober 2008 an die Grenze des rechtlich Vertretbaren; EBK und SNB behandelten die UBS, wie wenn sie nur ein Liquiditäts- und kein Solvenzproblem gehabt hätte. Wenn man aber die Steuerzahler vor den gefährlichen Casinospielen der Grossbanken schützen sollte, schöpft man den rechtlichen Handlungsspielraum, den man hat, bei weitem nicht aus. Von Merz waren wir uns nichts anderes gewohnt. Er hat zunächst ein Jahr zugewartet, bis im November 2009  – unter dem Druck einer SVP-Motion – eine Expertengruppe Siegenthaler eingesetzt wurde. Diese Experten haben eine beachtliche Leistung vollbracht. Innert Jahresfrist konnten sie im Konsens eine akzeptable Lösung der Too-big-to-fail-Problematik präsentieren, der auch die beiden Grossbanken zustimmen wollten.

Mit Widmer-Schlumpf im EFD hat dann der Bundesrat rasch gehandelt. Schon drei Monate später schickte er eine Vorlage in die Vernehmlassung, die vom Ergebnis der Experten allerdings etwas abweicht und deshalb Widerstand provoziert: der FINMA werden zusätzlich Kompetenzen eingeräumt, in die Organisation der Grossinstitute einzugreifen; die Grossbanken können dem nicht zustimmen. Und mit der Befreiung von der Emissionsabgabe für alle Obligationen, nicht nur für Cocos, wird die Vorlage zu einem Steuergeschenk an den Finanzplatz im Umfang von 200 Mio Franken pro Jahr, was die Linke nicht schlucken kann. Sind das taktische Winkelzüge, oder will man aktiv einen Konsens verhindern? Falls auf dieser Grundlage im Parlament vor den Wahlen keine Lösung mehr zustande kommt, müssen Bundesrat und FINMA endlich ihre Kompetenzen wahrnehmen und ihre Pflicht erfüllen. Auf der Grundlage von Art. 4 des Bankengesetzes können sie sofort handeln und die Eigenmittel für die systemrelevanten Grossbanken  mindestens so hoch ansetzen, wie die Experten verlangen.

Mehr zu dieser Thematik in meinem Buch:

Peter Hablützel: Die Banken und ihre Schweiz. Perspektiven einer Krise Conzett/Oesch Verlag, Zürich 2010, 304 Seiten, SFR 28.-

Individuelle Texte sind nicht durch das Diskursverfahren von kontrapunkt gelaufen.

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