Vorbeugung gegen faktische Staatsgarantien für Grossunternehmungen

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Von Kontrapunkt* vom 5. Februar 2009

Die Finanzkrise hat die Politik liberaler Staaten in ein Dilemma gestürzt. Notenbanken und Regierungen wurden mit der Frage konfrontiert, ob zur Entschärfung der Krise mit Notmassnahmen interveniert werden soll oder ob Unternehmungskonkurse hingenommen werden müssen.  Von den Behörden wurden beide Strategien gefahren. Bei der Rettung von Banken ging es immer um die Entscheidung zwischen einem kleineren und einem grösseren Übel: Der ordnungspolitische Liberalismusverrat stand als kleineres Übel dem grösseren Übel eines Bankrotts von Grossunternehmungen gegenüber.

Es gibt zur Zeit noch keine sauberen Analysen der Fehlentwicklungen und dennoch häufen sich Vorschläge zur Reregulierung des Bankensystems und zur Kontrolle von Löhnen und andern Einkommensarten von Managern und Verwaltungsräten. Evident ist lediglich, dass die Krise überall von Grossunternehmungen ausgegangen ist und für diese die Übernahme  einer faktischen Staatsgarantie auslöste. Vermutlich haben Fehlkonstruktionen in den Rahmenbedingungen und gröberes Fehlverhalten der Managements zur riskanten Kreditaufblähung und schliesslich zur Explosion der Luftblasen geführt.

Es darf daran erinnert werden, dass schon die Altliberalen und die Baumeister der sozialen Marktwirtschaft auf die Gefahren von Grossunternehmungen hingewiesen haben. Heutige Kartellverbote und Fusionskontrollen entsprangen dieser Einsicht.  Wenn es zur Dynamik in der Marktwirtschaft gehört, dass Unternehmungen kommen und gehen, dann muss eben das Gehen (der  Konkurs) ohne Schaden für die Volkswirtschaft möglich sein. Verdienen sich nun Grossunternehmungen wegen ihren Klumpenrisiken eine faktische Staatsgarantie, dann muss deren Entstehung in Schranken gehalten werden, um der Gefahr zu entgehen, diese Garantie notfalls einlösen zu müssen. Wenn allerdings Grossunternehmungen für die Volkswirtschaft zu gross sein können, dann können auch schon mittelgrosse in einer Region dominierende Unternehmungen ein unerträgliches Schadenspotential aufweisen.

Wir müssen heute nach einer Prophylaxe gegen die faktische Staatsgarantie suchen. Es gilt, dem Zugrosswerden von Grossunternehmungen oder dominanten mittelgrossen Unternehmungen vorzubeugen. Dabei ist an die potentiellen Schäden von Konkursen zu denken (Verluste von Arbeitsplätzen, Vernichtung von Aktionärskapital und die vielfältigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgekosten). Bereits schwappt die Finanzkrise in nationale Rezessionen über. Es geht also um die Verhinderung von Grossunternehmungen und vorsorglich auch um deren Rückführung in volkswirtschaftlich tolerable Grössen.

Die Umsetzung dieser Vorbeugungsstrategie ist wirtschaftspolitisch schwierig. Das liberale marktwirtschaftliche System der Schweiz soll in seinen Grundfesten respektiert werden, aber  die Unternehmungen sollen neue Leitplanken für ihre Entwicklung erhalten. Im Folgenden wird ein Katalog von denkbaren Massnahmen zur Diskussion gestellt, der von weichen bis zu harten Interventionen voranschreitet. Die rechtlichen Konsequenzen dieser Ideen für Gesetze und Verfassung werden am Schluss noch kurz erörtert.

I. Verbale Interventionen

  • Die Regierungen können Unternehmungen zum Masshalten aufrufen. Solche Aufrufe sind blosse Ermahnungen, die Risiken des Wachstums in der Unternehmungsstrategie gebührend zu beachten. Sie können aber mit einer grundsätzlichen Verweigerung jedwelcher Staatshilfe bei Konkursgefahr verbunden werden.
  • Die Grossunternehmungen können angehalten werden, periodisch öffentlich darzulegen, welche Gefahrenpotentiale bestehen, wenn Bankkredite wegfallen oder eine Rezession eintritt.

II. Finanzielle Anreize

  • Grosse Unternehmungen können verpflichtet werden, eine Versicherung für das Konkursrisiko abzuschliessen. Die Prämien erfassen die Risiken und verursachen entsprechende Kosten
  • Die Beiträge der Unternehmungen an die Arbeitslosenversicherung lassen sich nach der Belegschaftsgrösse in ihrer Höhe differenzieren. Es geht ja um die Gefahr von     Massenentlassungen.
  • Manager können in ihren Arbeitsverträgen verpflichtet werden, eine persönliche Haftpflicht für Unternehmungskonkurse zu übernehmen. Dies wäre eine Gleichstellung mit den Eigentümern.

III. Etablierung von Rechten für Aktionariat und Belegschaft

  • Die Aktionäre und die Mitarbeiter von Gesellschaften können in den Statuten mit dem Recht zur Mitbestimmung bei der Unternehmungsstrategie ausgestattet werden.
  • Mitarbeiter und Aktionäre können berechtigt werden, der Unternehmung Verschuldungsgrenzen zu setzen. Dies wäre eine Ergänzung zu Eigenkapitalvorgaben.
  • Die Generalversammlung oder ein von dieser eingesetztes Gremium können befugt erklärt werden,  die Entschädigungen von Verwaltungsrat und Management zu beschliessen.

IV. Staatliche Kontrollen, Kompetenzen und Gebote

  • Internationale Grosskonzerne können in nationale Unternehmungen aufgegliedert werden. Es gilt zu verhindern, dass schweizerische Unternehmungen durch Fehlentwicklungen bei ausländischen Tochtergesellschaften in Konkursgefahr getrieben werden.
  • Die staatlichen Wettbewerbshüter können verpflichtet werden, bei der Fusionskontrolle nicht nur auf die Marktmacht abzustellen, sondern auch die Unternehmungsgrösse als volkswirtschaftliche Gefahr ins Auge zu fassen. Sie erhalten auch die Kompetenz, zu gross gewordene Unternehmungen durch Aufspaltung zu verkleinern.
  • Unternehmungen können zur Bildung von grössenabhängigen Konkursreserven verpflichtet werden, um Sozialpläne sicherzustellen.
  • Als harte Intervention  ist an die Festlegung einer zulässigen Maximalgrösse von Unternehmungen zu denken. Als Mass käme die Belegschaft in Betracht, allenfalls in Relation zum Kapital.

Wir betrachten diesen Ideenkatalog nicht als abgeschlossen, insbesondere nicht zur Reregulierung der Bankwirtschaft. Auch im Blick auf die globale Grossindustrie wären noch weitere Überlegungen anzustellen.

Abschliessend nun noch zurück zur Frage, welche Konsequenzen sich für die Umsetzung obiger Ideen in der Rechtsordnung ergäben. Vieles liesse sich in der anstehenden Reform des Aktienrechts unterbringen. Anderes verlangte Anpassungen bei der Arbeitslosenversicherung, die sich zur Zeit auch in Revision befindet. Noch anderes müsste im Obligationenrecht oder Arbeitsrecht geregelt werden. Zu einer Verfassungsänderung würden vermutlich die vorgeschlagenen Änderungen im Wettbewerbsrecht und bei der Wirtschaftsfreiheit zwingen. Dazu darf beigefügt werden, dass ohnehin die Zeit gekommen wäre, die 1947 erneuerten Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung einer umfassenden Revision zu unterziehen.

* Diesen Text haben folgende Mitglieder von kontrapunkt mitunterzeichnet:
kontrapunkt, der zurzeit 23-köpfige „Schweizer Rat für Wirtschafts- und Sozialpolitik“, entstand auf Initiative des „Netzwerks für sozial verantwortliche Wirtschaft“. Die Gruppe will die oft unbefriedigende und polarisierende öffentliche Diskussion über politische Themen durch wissenschaftlich fundierte, interdisziplinär erarbeitete Beiträge vertiefen. kontrapunkt möchte damit übersehene Aspekte offen legen und einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte leisten. Diesen Text haben folgende Mitglieder von kontrapunkt mitunterzeichnet: Prof. Dr. Klaus Armingeon, Politikwissenschafter, Universität Bern; Prof. Beat Bürgenmeier, Volkswirtschafter, Universität Genf; Prof. Dr. Jean-Daniel Delley, Politikwissenschafter, Universität Genf; Dr. iur. Gret Haller, Universität Frankfurt am Main; Prof. Dr. Hanspeter Kriesi, Politikwissenschafter, Universität Zürich; Prof. em. Dr. René Levy, Soziologe, Universität Lausanne; Prof. Dr. Philippe Mastronardi, Staatsrechtler, Universität St. Gallen; Prof. Dr. Christoph Stückelberger, Wirtschaftsethiker, Universität Basel; Prof. em. Dr. Peter Tschopp, Volkswirt, Universität Genf; Prof. Dr. Peter Ulrich, Wirtschaftsethiker, Universität St. Gallen; Prof. em. Dr. Mario von Cranach, Psychologe, Universität Bern; Prof. Dr. phil. Theo Wehner, ETH Zürich, Zentrum für Organisations- und Arbeitswissenschaften (ZOA), Zürich; Daniel Wiener, MAS-Kulturmanager, Basel.

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